Paul Wirz; ein romantischer Ethnograph (2)  

      ''.....Doch auch diese Warnungen sind umsonst, und höhnendes Gelächter ist die Antwort... ''Tuan-end Pâ! Tuan-end Pâ !'' :Den Kopf des Weissen! Den Kopf des Weissen!' schreien sie in wilder, leidenschaftlicher Erregung, und wieder kommt eine andere Bande, blutdürstend und kampfbereit aus dem Busch, und diesmal gerade auf uns zu... Ich laufe wie rasend gegen sie an und fördere meine Jungen auf, dasselbe zu tun. Die Wilden halten einen Augenblick inne. In demselben Moment kommt Patinamo in Schweiss gebadet und am ganzen Körper zitternd aus dem Busch hervor. Ein letzter Hoffnungsschimmer gibt uns von neuem Mut. Wir laufen zum Boot zurück. Es gilt nun, auf Leben und Tod das Fahrzeug so rasch wie möglich nach dem Fluss zu bringen. Patinamo hält mit unausgesetztem Schiessen die Wilden in einiger Entfernung. Endlich haben wir den Fluss erreicht. Die Wilden hatten jedoch reichlich Zeit gehabt, sich am Flussufer zu verteilen, glücklicherweise nur auf dieser einen Seite. Ich und zwei meiner Jungen springen rasch ins Boot, die beiden andern sollen mit den Gewehren zu Fuss nachfolgen und die blutdürstige Menge mit Schiessen zurückhalten. Was nun folgt spottet jeder Beschreibung. Es geht auf Leben und Tod. Von lautem Geheul begleitet schwirren die Pfeile durch die Luft; einige durchschlagen die Bootwand, andere fallen senkrecht auf unser Fahrzeug herab und dringen wie Nadeln durch das mit Sagolaub gedeckte Sonnendach hindurch. Andere streifen uns haarscharf. Wo wir auch hinblicken, lauern die Wilden hinter den Baumstämmen und Büschen und zielen sicher und wohlüberlegt im Augenblick, wo ünser Fahrzeug an ihnen vorbeifahrt. Wir halten uns natürlich in der Nähe des andern Ufers, aber trotzdem betrigt die Enfernung zwischen ihnen und uns nicht mehr als fünfundzwanzig Meter.

      Ein Glück ist es, dass der Busch nur wenig dicht ist, dass wir die Wilden schon von weitem sehen und uns bei jedem Pfeilschuss hinter die Bootswand ducken können. Gegen die von oben senkrecht auf uns herabfallenden Pfeile sind wir freilich vollkommen machtlos, und nicht lange dauert es, so steckt auch schon einem meiner Jungen eine Pfeilspitze im Fuss. Wir haben jedoch keine Zeit, darauf zu achten. Wir rudern unter Aufbietung aller unserer Kräfte, aber die Papua halten mit unserm Fahrzeug Schritt, freilich in achtungsvoller Entfernung von den beiden Jungen, die unserm Fahrzeug nachfolgen und fortwährend schiessen. Endlich scheint sich der Pfeilhagel etwas zu vermindern. Der grosste Teil der Wilden scheint von einer weiteren Verfolgung abzusehen. Rasch rufe ich den beiden Jungen zu, ins Boot zu kommen. Dadurch gewinnen die Eingeborenen wieder etwas Zeit. Doch bereits geht es wieder in flotter Fahrt vorwarts. In Kindiki steht uns ein erneuter Angriff bevor. Andere< Manner haben sich hier gesammelt und sich mit frischen Pfeilen versehen. Wir machen uns auf ein neues Gefecht gefasst. Das schlimmste aber ist, dass einige der Manner mit einem Kanu nach dem andern Ufer übersetzen; so wird die Lage für uns von neuem bedenklich. Zum Glück kann ihr Kanu nur wenige Leute fassen, und in der Erregung, in der sie sich befinden, stellen sie sich recht dumm und ungeschickt an. Wir rudern ununterbrochen aus Leibeskräften und die Eingeborenen können uns, da wir zu viert rudern, so rasch nicht mehr folgen. Mehr und mehr beginnen sie zurückzubleiben, die Pfeile erreichen unser Fahrzeug nicht mehr. Zum Glück bricht auch die Dämmerung an, aber noch sind wir der Gefahr nicht entronnen. Bei Gâde, wo wir gestern so freundschaftlich aufgenommen wurden und die Nacht verbracht hatten, erwartet uns ein bis an die Zähne bewaffneter Trupp und sendet unserm Boot einen Pfeilhagel nach, und so, fürchten wir, könnte es noch mehrmals geschehen. Glücklicherweise ist dies aber nicht der Fall. Nicht einen Eingeborenen sehen wir mehr. Aber trotzdem rudern wir bis spät in die Nacht hinein, ohne an die Ermattung zu denken, ununterbrochen weiter, bis unsere Kraft versagt. Unter einem Bambusbusch, weitab von jeder Siedlung, machten wir halt, doch von Schlaf war kaum die Rede. Keiner von uns sprach ein Wort, denn jeder war mit sich selbst beschäftigt. Auch ans Reiskochen und Essen dachten wir nicht, und ein Feuer anzufachen hielten wir nicht für ratsam. Erst jetzt dachte mein Junge, der Keinese, daran, die Pfeilspitze aus seinem Fuss zu ziehen. Sie besass allerdings keine Widerhaken, aber leicht war es trotzdem nicht, da sie dicht über der Wunde abgebrochen war. Schliesslich gelang es einem seiner Kameraden unter Zuhilfenahme der Zähne. Nach einigen Tagen stellten sich heftige Schmerzen ein, die noch volle zwei Wochen andauerten. Auf meinem Lager unter dem schützenden Bambusbusch liegend hörchte ich angespannt in die dunkle Nacht hinaus und suchte den finstern Horizont zu durchdringen. Dann und wann ächzte ein Käuzchen im Busch, und das Buschhuhn liess seinen durchdringenden Schrei hören. Meine Gedanken schweiften in die Ferne. Was ich gesucht hatte, ein behagliches Leben inmitten der Natursöhne, was seit Jahren mein sehnlichster Wunsch gewesen war, das hatte ich nicht gefunden. Fortwährende Unruhe und körperliche Anstrengungen aller Art hatten mir nur wenige genussreiche Augenblicke gegönnt. Für das viele, was ich auf all meinen Reisen eingebüsst hatte, brachte ich nur geringen Ersatz mit, und was das schlimmste war, ich fühlte mehr und mehr, dass ich nach den überstandenen Anstrengungen nicht mehr im Vollbesitz meiner Körperkraft war. Diese und andere Gedanken zermarterten mir den Kopf, bis ich von Müdigkeit übermannt in einen unruhigen Schlaf verfiel. Etliche Male fuhr ich erschreckt von meinem Lager auf und glaubte Ruder- oder Trommelschläge zu vernehmen, doch war es stets nur eine Tauschung meiner fieberhaft erregten Phantasie. Als der Morgen graute, ging es weiter, ohne von den Eingeborenen noch etwas zu sehen. Nach einigen Tagen waren wir wieder in Kabtel. Die Eingeborenen hatten hier bereits von dem Uberfall gehört; so rasch verbreiten sich in Neuguinea, trotz Fehlens jeglicher Verkehrsmittel, die Nachrichten. Erst nachdem ich mich hier, in Kabtel, einigermassen von dem Schrecken erholt hatte, war es mir möglich, über alles Erlebte nach-zudenken. Mehr und mehr kam ich zu der Überzeugung, dass der Überfall am obern Bian von den Eingeborenen längst geplant und nach reiflicher Überlegung ausgeführt worden war. Erst hatten sie mich nach Gade gelockt und mich als ihren Gast willkommen geheissen, vermutlich mit der Absicht, dass ich für die bevorstehenden Ezam-Zeremonien den Festbraten abgeben sollte. Als sie aber sahen, dass ich meinen Plan änderte und weiter flussaufwärts fuhr, lockte man mich nach Lugud, und hier geriet ich in die Falle. Die Starrköpfigkeit meiner Jungen leistete ihrem Vorhaben Vorschub, und hätten diese nicht im letzten Augenblick ihre Gesinnung geändert, so ware es um mich und auch um sie geschehen gewesen. Nach diesem Abenteuer und dem, was ich am obern Bian auf der vorhergehenden Reise zu sehen bekommen hatte, war meine Meinung von den Eingeborenen eine wesentlich andere geworden. Hinterlist, Rachsucht und blutdürstige Grausamkeit wird ihnen niemand, der sie richtig kennengelernt hat, neben guten Eigenschaften absprechen können. Hierin scheinen auch alle Kenner Neuguineas einig zu sein. Mit der Zivilisation ändern sich diese unedlen Charaktereigenschaften freilich sehr rasch. Über die eigentliche Ursache dieses Abenteuers bin ich mir allerdings auch heute noch nicht klar. Den Eingeborenen gegenüber hatte ich mir nichts zuschulden kommen lassen. Mit meinen Tauschartikeln war und kann auch dem dummen Streich, den einer meiner Jungen bei der vorhergehenden Reise in Kuau gespielt hatte, einen solchen Racheakt nicht zuschreiben. Zudem hatte ich ja die Leute nachträglich reichlich beschenkt. Die ganze Geschichte war, wie mir jetzt scheint, von dem alten Mann in Szene gesetzt worden, der ohne meine Aufforderung nach Silil mitgefahren war, wofür ich ihm obendrein noch ein Messer schenkte; aus welchem Grunde aber, ist mir ebensowenig klar geworden.''
       

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